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Selbstbewegende Materialien

Das Schwerpunktprojekt »Selbstbewegende Materialien« erforscht Funktionsmechanismen und Strukturzusammenhänge des komplex-filigranen Filtergehäuses eines Manteltiers vs. denen von Architekturen, Maschinen und weiteren biologischen Systemen. 

Durch experimentelle Mikroskopierverfahren und digitalmathematische Modellierung physikalischer Parameter sowie im kulturhistorischen Vergleich wird die Frage, wie die Anordnung von Strukturen im Raum funktionelle Bewegung kodieren kann, beantwortet. Der bildanalytisch dokumentierte intrinsische Code der Strukturen wird synthetischen Erklärungen verschiedener Prozesse von extrinsisch kodiertem Werden zugrunde gelegt. Der Frage nach dem Verhältnis von Code und Materie dynamischer Strukturen wird in kulturhistorischen Analysen eine historische Dimension hinzugefügt. 

Forschungsthema

Aus der Interaktion zwischen Architektur und Materialforschung sollen neue Erkenntnisse über selbstbewegende Materialien und deren Anwendungen gewonnen werden. Die Zielsetzung bio-inspirierter Materialforschung ist es, die von der Natur im Laufe der Evolution gefundenen »Lösungen« von Materialproblemen für die Herstellung künstlicher Stoffe zu nutzen. Tatsächlich gibt es in der Natur Substanzen, die parametrische Änderungen in der Umgebung (z.B. Luftfeuchte oder Temperatur) direkt in Bewegung umsetzen können. In der Pflanzenwelt findet man kriechende Weizensamen oder sich öffnende Tannenzapfen. Die motorische Energie ist entweder direkt im Material gespeichert oder wird durch die Änderung der Umgebung zur Verfügung gestellt. Diese Substanzen sind autonome und deshalb besonders effiziente Bewegungsmechanismen.

Für die Architektur könnten diese daher eine interessante und zukunftsweisende Option darstellen. Mit der Übertragung von dynamischen Strukturen und Funktionen in die Materialien der Architektur könnten Regulierungen, die sonst ein Mensch oder Apparat (z. B. Thermometer) initiieren muss, als synchrone Reaktionen auf Umwelteinflüsse erfolgen.

Zielsetzung

Das Ziel des Projekts liegt darin, über nano-, mikro- und makroskopische Untersuchungen die Strukturen selbstbeweglicher Materialien als dynamische Gefüge und damit ihre Bewegungsfunktionen zu analysieren und in die Architektur zu überführen. Während die Biomaterialforschung von der Tatsache ausgeht, dass die Natur keine Differenzierung zwischen Element und Material trifft, beschäftigt sich die Architektur genuin mit der Konstruktion auf der Grundlage einer Unterscheidung zwischen Bauteil und Material.

Diese Gegenläufigkeit der Arbeitsmethoden und Strategien der Materialforschung und der Architektur sollen im Experiment mithilfe zwei- und dreidimensionaler Modelle aufgehoben werden. Übertragungsgesetze, die vor allem von der jeweiligen Maßstabsbetrachtung abhängen und ebenso in den Grenzen des Materials selbst zu finden sind, sollen systematisch offen gelegt werden und so theoretisch und praktisch neue Strategien zur nachhaltigen Energieeinsparung ermöglichen.

Durchführung

Bei der Erforschung natürlicher Materialien stellt sich das Problem, dass zwar die Struktur von der makro- zur nanoskopischen Längenskala im Detail bestimmt werden kann, die Funktion aber a priori nicht bekannt ist. Für die technische Realisierung eines neuen künstlichen Materials hingegen stellt sich die Situation genau umgekehrt dar: Hier ist die wünschenswerte materiale Funktion klar, und die Herausforderung besteht darin, die geeignete Struktur zu finden und zu realisieren. Die Funktionalität eines Materials setzt in der Regel eine Kombination von stofflichen Eigenschaften voraus. Als Ausgangspunkt für die Klassifikation der Funktionen dienen sogenannte Ashby-Plots, in denen die Merkmale verschiedener Materialien in einem Diagram verglichen werden können. Diese Liste der Eigenschaften soll um Aspekte erweitert werden, die über die naturwissenschaftliche Beschreibung hinaus die Wechselbeziehung des Menschen mit dem Material beschreiben.

Das Projekt profitiert hier von der Zusammenarbeit mit Y. Brechet (Grenoble), einem der Pioniere im Bereich »Materials Selection«, der derzeit als Gay-Lussac-Humboldt-Wissenschaftspreisträger am MPI in Potsdam  tätig ist. Die Klassifikation nach Struktur ist in der Naturwissenschaft noch wenig entwickelt. Sie orientiert sich vornehmlich an praktischen Gesichtspunkten (z.B. periodische und nicht-periodische Strukturen). Die Zusammenarbeit mit Kunsthistoriker_innen und Architekt_innen, die Erfahrung in der Klassifikation von Gestaltung haben, und dem Projekt »Attention & Form«, soll neue Lösungsansätze bringen. Im Labor werden Strukturvergleiche auf verschiedenen Maßstabsebenen vorgenommen, die es experimentell auf die Konstruktionsprinzipien der Architektur zu übertragen gilt. Die Praktikabilität der Übertragung in einen anderen Maßstab wird durch Belastungsversuche im Labor getestet.

Ergebnissicherung

Geplant ist die Publikation eines Konstruktionsatlasses selbstbewegender Materialien sowie die Realisierung einer Modell-Architektur am Clustergebäude.